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Überfällig: Große Mehrheit für bundesweites Anerkennungssystem für Kompetenzen

Der aktuelle BIBB-Expertenmonitor beschäftigt sich mit der Frage, wie informelles und non-formales Lernen in Deutschland anerkannt werden kann. Laut BIBB-Expertenmonitor wünschen sich 70% der Berufsbildungsexpert(inn)en ein bundesweit einheitliches Anerkennungssystem für informelle und non-formale Lernergebnisse. Damit lassen sich die beruflichen Chancen des Einzelnen ebenso verbessern, wie dem prognostizierten Fachkräftemangel in bestimmten Branchen wirksam entgegentreten, so die Befragten. Eine win-win-Situation für beide Seiten sollte man meinen.

In Sicht ist ein solches bundesweites Anerkennungssystem für individuelle Lernergebnisse trotz breiter Zustimmung aber nicht. Gerade im Hinblick auf die EU-Ratsempfehlung vom Dezember 2012, in der die europäischen Mitgliedsstaaten dazu angehalten werden, bis 2018 geeignete nationale Regelungen für eine Anerkennung informellen und non-formalen Lernens zu entwickeln, sehen die Experten eher schwarz. Bis 2018 rechnet man laut Umfrage nicht damit, dass sich ein bundesweites Anerkennungssystem in Deutschland realisieren lässt. Dies liegt nicht nur am fehlenden Willen der Beteiligten, sondern auch daran, dass viele offene Fragen zur konkreten Gestaltung und Reichweite eines solchen Anerkennungssystems bestehen. Hier liefert die BIBB-Umfrage interessante Anregungen für passende Gestaltungselemente und deren Akzeptanz im Sektor berufliche Bildung.

 

Foto: Marco2811 @ Fotolia.com
Foto: Marco2811 @ Fotolia.com

Wesentlich für die Gestaltung eines bundesweiten Systems sollte sein, den Blick nicht frühzeitig einzuengen. Eine Beschränkung auf bestimmte Lernorte wie den Arbeitsplatz oder Mindestlernzeiten, wie es beispielsweise beim Zugang zur Externenprüfung geregelt ist, führen dazu, dass diese bestehenden Anerkennungssysteme als defizitär und unzureichend wahrgenommen werden. Man kann nicht oft genug daran erinnern, dass knapp 70% unseres Lernens (Faure-Kommission 1973) außerhalb von formalen Bildungsinstitutionen stattfindet. Damit bleibt ein erhebliches Wissens- und Kompetenzpotential des Einzelnen häufig unbeachtet. Informelles und non-formales Lernen sind nicht zielgruppenspezifisch. Sicherlich mag es An- und Ungelernten sowie Flüchtlingen an formalen Qualifikationsnachweisen fehlen und ein Anerkennungssystem könnte Ihnen den Weg ins Berufsleben ebnen.

 

Das lebensbegleitende informelle und non-formale Lernen ist jedoch nicht nur für die Personalgewinnung, sondern gerade auch für die Personalentwicklung entscheidend. Wichtig ist, sich von der Vorstellung des „ausgelernt habens“ zu lösen und das Lernen als lebensbegleitend zu verstehen. Der formale Bildungsabschluss ist nicht das Ende des Lernens sondern ein Anfang und manchmal ein Zugang. Die vielfältigen Lernorte des Menschen, das Lernen am Arbeitsplatz im Rahmen der beruflichen Laufbahn, aber auch das Lernen außerhalb dieses Kontextes in der Familie, im Ehrenamt, im Gemeinwesen, im Sport, in der Weiterbildung und mit zunehmender Bedeutung auch das autodidaktische Lernen (z.B. IKT-Kompetenzen) müssen in den Blick genommen werden.

 

Foto: Peter Atkins @ Fotolia
Foto: Peter Atkins @ Fotolia

Ein bundesweites Anerkennungssystem muss unbedingt alle Lernorte gleichberechtigt einbeziehen. Portfoliomethoden wie der ProfilPASS sind daher als Bilanzierungsinstrumente ein guter Ansatz, um die verborgenden informell und non-formal erworbenen Kompetenzen sichtbar und dem Einzelnen bewusst zu machen. Neben einer ausführlichen und qualitativ hochwertigen Beratung sollte diese Bilanzierung ein wesentlicher Kern eines Anerkennungssystems sein. Die Bewertung der identifizierten Lernergebnisse war auch in der BIBB-Umfrage kontrovers. Gerade Selbsteinschätzungen und Fremdbewertungen in Form von Arbeitszeugnissen und Zertifikaten genießen wenig Vertrauen und sind aus Sicht der Experten nicht für eine Bewertung von Lernergebnissen geeignet. Hier sollte bei aller Skepsis darauf geachtet werden, dass die Zugänge leicht gemacht  und keine zusätzlichen Hürden geschaffen werden. Wenn eine Validierung letztlich doppelt so viele Prüfungen und Arbeitsproben erfordert, als der „einfache“ Lernweg, den Abschluss auf dem üblichen Weg zu erreichen, stellt es ein bundeseinheitliches Anerkennungssystem ad absurdum. Der Weg einer Validierung non-formalen und informellen Lernens ist ein langer arbeits- und zeitaufwändiger Prozess, in dem niemandem etwas geschenkt wird.

 

Ein bundeseinheitliches Anerkennungssystem ist keine Abkürzung zum Berufs- oder Bildungsabschluss, sondern ein längst überfälliges Tribut an eine moderne Lern- und Wissensgesellschaft.

 

Text: Anne Sorge-Farner, IJAB

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